UX-Writing, Copywriting, Content Strategy, Microcopy und weitere Buzzwords kursieren rund um das Themengebiet der digitalen Produkte und speziell der Texte, die für diese Produkte erstellt werden. Doch was ist denn eigentlich UX und genauer UX-Writing? Was bedeutet gutes UX-Writing für die Technische Kommunikation? Macht UX-Writing die klassische Anleitung überflüssig?

Speziell in der Technischen Kommunikation haben Technische Redakteure in der Regel mit komplexen Systemen zu tun, die für Fachkräfte geschaffen, komponentenreich und für unterschiedlich komplexe Aufgabenbereiche eingesetzt werden. Nicht selten umfassen Anleitungen solcher digitaler Produkte mehr als 400 Seiten. Ein „schnelles“ Refactoring der Textbausteine oder der Nutzeroberfläche für solche Produkte gestaltet sich schwierig und scheint oft sogar unmöglich. Erfahren Sie in diesem Beitrag, wie Sie ein gutes UX-Writing für komplexe digitale Produkte angehen können und holen Sie sich Einstiegs- und Umsetzungstipps für Ihren erfolgreichen UX-Writing-Start.

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Usability vs. User-Experience | Wo liegt der Unterschied?

Werfen wir einen Blick auf die Definition in der Norm DIN ISO 9241-11 so sagt diese über die Usability:

[..] Usability ist das Ausmaß, in dem ein System durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.

Demnach beschreibt die Usability die Nutzungs- oder Gebrauchstauglichkeit digitaler Produkte. Im Fokus steht die Zielgruppe bzw. die Anwender.

Gegenübergelegt beschreibt die User-Experience (UX) hingegen das Nutzungserlebnis bzw. die Nutzungserfahrung der Nutzer, die diese mit dem System haben. Die DIN ISO 9241-210 schreibt dazu:

[…] Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren. […] Dies umfasst alle Emotionen, Vorstellungen, Vorlieben, Verhaltensweisen und Leistungen, die sich vor, während und nach der Nutzung ergeben.

Die Usability betrachtet also den Prozess während der Nutzung des Systems und bewertet, ob das digitale Produkt effektiv, effizient und zufriedenstellend genutzt werden kann. Effektiv ist ein System dabei, wenn der Anwender grundlegend in der Lage ist, seine Aufgabe mit dem Produkt zu lösen. Effizient ist ein digitales Produkt, wenn der Anwender seine Aufgabe unter schonendem Ressourcenaufwand erledigen kann. Zufriedenstellend ist ein System dann, wenn das Produkt effektiv und effizient bedient werden kann.

Die User-Experience geht darüber hinaus. Mit der UX werden auch die subjektiven Empfindungen der Anwender vor und nach der Nutzung des Systems betrachtet. Welche Vorstellungen und Erwartungen haben die Anwender an den Umgang mit dem System und werden diese nach der Nutzung erfüllt oder gar übetroffen?

User-Experience und Usability in einem Schaubild verglichen

Usability und User-Experience im Vergleich

Usability und User-Experience im Vergleich als Schaubild

Die UX als solche ist demnach sehr dynamisch. Die Erfahrung der Anwender im Umgang mit Ihrem digitalen Produkt kann sich mit jedem Zwischenschritt bei der Nutzung des Produktes ändern. Sie kann positiv als auch negativ beeinflusst werden. Die User-Experience erweitert gewissermaßen die Usability um emotionale, aber auch ästhetische Faktoren.

Wie unterscheiden sich Usability und UX im Detail?

Zusammenfassend und ganzheitlich betrachtet kann man festhalten, dass sich die User-Experience aus folgenden Komponenten zusammensetzt:

  • dem „Look“ eines digitalen Produktes, also der Glaubwürdigkeit und dem Vertrauen zu der Marke des Produktes,
  • der Usability, in der Betrachtung der Funktionalitäten und der Intuitivität der Bedieungung, und
  • dem „Feel“ des digitalen Produktes, in Betrachtung der Interkation mit dem digitalen Produkt sowie der Reaktion nach der Nutzung.

Die reine Usability setzt zur Umsetzung der Anwenderziele auf das Produkt selbst als Werkzeug, während bei der User-Experience in der Umsetzung darauf gebaut wird, Erlebnisse zu gestalten und diese technisch durch Methoden und Prozesse zu unterstützen.

Fokus, Ziele und Umsetzung der Usability

Usability-Chart Ziele, Fokus, Ideal und Umsetzung

Usability-Chart: Ziele, Fokus, Ideal und Umsetzung

Fokus, Ziele und Umsetzung der User-Experience

User-Experience-Chart, Ziele, Fokus, Ideal und Umsetzung

User-Experience-Chart: Ziele, Fokus, Ideal und Umsetzung

Wo wird das UX-Writing im User-Experience Prozess eingeordnet?

Betrachtet man den User-Experience Prozess, so lässt dieser sich im Wesentlichen in den 3-Phasen „Research“, „Design“ und „Content-Strategie“ beschreiben. In der Research-Phase betreiben UX-Experten Nutzerforschung zur Klärung der Bedürfnisse und Erwartungen der Anwender. In meist mehreren Iterationen sollen User-Research-Methoden dabei helfen, Klarheit zur Zielgruppe zu erlangen. Es werden Personas definiert, die aufzeigen, für wen die digitalen Produkte und vor allem die Erlebnisse gestaltet werden sollen.

In der Design-Phase werden meist klickbare Prototypen entworfen, ein UI-Design sowie Design-Guidelines erstellt, die der Zielgruppe als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine dienen.

Dicht verzahnt (und in meinen Augen der wichtigste Faktor im Prozess) ist die Content-Strategie, in der die Erstellung und Verbreitung von Inhalten rund um das Produkt, die Marke oder der Dienstleistung angesiedelt sind. Die Content-Strategie sorgt dafür, dass ein Dialog mit dem Anwender vor, während, und nach der Nutzung entstehen kann, um positive Erlebnisse zu schaffen oder negative Eindrücke zu besänftigen.

UX-Writing ist dabei ein Teil der Content-Strategie und spezieller im Zeitrahmen während der Nutzung des Produktes angesiedelt. UX-Writer entwerfen Microcopy-Texte, die dafür sorgen, mit dem Nutzer möglichst in einen Dialog während der Nutzung des digitalen Produkts zu treten. Sie begleiten ihn bei der Bewältigung seiner Aufgaben, helfen ihm aus Fehlermeldungen heraus und sorgen für eine möglichst reibungslose Bedienung der digitalen Produkte durch klare Texte.

Eine meines Erachtens gute Definition für UX-Writing von Greta van der Merve, die ich sinngemäß wiedergeben möchte, lautet:

„Beim UX-Writing handelt es sich um die bewusste Berücksichtigung aller Wörter in einer Benutzeroberfläche, um eine digitale Erfahrung benutzerfreundlicher zu machen.“ [Greta van der Merwe]

Bewusst berücksichtigen bedeutet dabei: Zielgruppen zu analysieren, Versionen von Texten zu testen (A/B-Testing), einer Markenstimme zu folgen, gesprächshaft zu schreiben und/oder die Lokalisierung zu berücksichtigen.

Wörter in der Benutzeroberfläche sind: Überschriften, Buttontexte, Labels, Call-to-Action-Links, Beschreibungen, Fehlermeldungen oder Eingabehilfen und Tooltips.

Kann man UI-Design und UX-Writing trennen?

Jede GUI besteht stets aus Text und Design. Das Zusammenspiel beider Elemente fördert ein positives Anwendererlebnis und steigert dadurch die Usability. Das eine ohne das andere ist also mehr oder weniger wertlos. Daher ist es meiner Meinung nach nicht ganz einfach, beide Aspekte sauber voneinander abzugrenzen. Dennoch ist es in der Praxis oft so, dass der Text oft dem Design nachgelagert wird. Während der Design-Phase werden Fülltexte verwendet, die nicht selten das Design „schmücken“ sollen. Die Tücke dabei ist es, dass eben diese Fülltexte in der Prototyping-Phase zwar gut aussehen, die Realität der richtigen Texte aber nur selten abdecken.

Werden nun die „echten“ Texte in die GUI eingebaut, sprengen diese nicht selten viele Teile des Designs. In der Konsequenz werden hart erarbeitete Texte der UX-Writer unter Zeitdruck gekürzt und z.B. Buttons, die 2-3 Wörter benötigen würden, um selbsterklärend zu sein, schlicht auf ein, meist wenig bedeutendes, einzelnes Wort zusammengestampft. Für den Rollout muss nämlich das Design gewahrt werden.

Wie kann UX-Writing und UI-Design kollisionsfrei kombiniert werden?

Gute Microcopy ist keine leichte Aufgabe. Sie ist klar und auf den Punkt gebracht. Der zeitliche Aufwand dafür ist häufig unterschätzt und kann nicht nebenher von den UI-Designern oder der Softwareentwicklung übernommen werden. Sie brauchen Technische Redakteure, die für das UX-Writing ausgebildet sind und den entsprechenden Erfahrungsschatz mitbringen, um komplexe Sachverhalte zu vereinfachen und mit kurzen, klaren Texten Ihre Anwender anzuleiten.

Gleichermaßen ist es auch so, dass UX-Writing bzw. Microcopy-Texte innerhalb Ihrer digitalen Produkte keine „Quick-Fix“-Lösung für schlechtes UI-Design sind. Vor allem bei komplexen Systemen mit historisch gewachsenen Strukturen wird oft der Versuch unternommen, diese durch „fancy“ Texte aufzupeppeln. Das funktioniert in der Praxis leider nur selten. Ihre Anwender kennen die Stolpersteine in Ihrer GUI und bemerken den Versuch, diese mit Texten zu besänftigen. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass Sie einen UI-Flaschenhals in Ihrem Produkt mit Text untermauern, der in Ihrer Usability noch schlechter abschneidet als davor.

Das ist wie mit dem Schulzeugnis: Lief es in den Hauptfächern bescheiden, ist der Versuch, die Kurve mit guten Noten in Sport und Religion noch zu kriegen, in den meisten Fällen vergebene Liebesmühe (sofern Sie nicht auf eine Sport- oder Theologie-Karriere abzielen).

Ist also bereits bekannt, dass Ihre GUI an einer bestimmten Stelle Schwierigkeiten bei Ihren Anwendern im Umgang mit Ihrem Produkt darstellt, sollten Sie in erster Linie versuchen, diese GUI design- oder entwicklungsseitig zu überarbeiten.

UX-Writing ist daher keine reine UX-Writer-Aufgabe. Sondern eher das Bewusstsein aller Beteiligten wie z.B. der UI-Designer, der Entwicklung und/oder der UX-Designer. Jeder trägt zu einem kleinen Teil die Verantwortung für das UX-Writing.

Eine gute Kommunikation zwischen UI-Designer und UX-Writer ist erforderlich, um das Alignment, die Typographie und Platz für gute Microcopy rechtzeitig bereits im Design-Prozess vorzusehen. Dadurch vermeiden Sie böse Überraschungen, die meist auf Kosten der harten UX-Writer-Arbeit in letzter Linie angepasst werden.


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Wie wird UX-Writing in der Technischen Kommunikation eingeordnet?

Technische Redakteure sind „Meister der Bedienungsanleitungen“ und erstellen im digitalen Produktkontext Benutzer- und Systemhandbücher, Installations- und Admin-Guides, FAQs und weitere für die Installation, Nutzung und Wartung relevante Inhalte. Sie kommen seltener im Kontext kleiner digitaler Produkte wie Apps im Endkunden-Umfeld zum Einsatz, sondern sind vielmehr im B2B-Kontext für komplexe Systeme bzw. sogenannte Enterprise-Software-Produkte tätig. Diese Systeme haben viele Komponenten, die miteinander verknüpft und für unterschiedliche Aufgabenbewältigungen genutzt werden. Die Ein- und Ausstiegspunkte in das digitale Produkt sind daher stark situationsabhängig und nur selten „straight forward“ wie bei einfacheren Endbenutzer-Applikationen, wie zum Beispiel einer Online-Banking-App. Ein vollständiger Verzicht auf ein Benutzerhandbuch und die reine Benutzerführung durch gute Microcopy-Texte ist daher oftmals schwierig.

Arten von Expertensystemen

Arten von Experten Systemen fuer Softwaredokumentation und UX Writing

Arten von Experten-Systemen für Softwaredokumentation und UX-Writing

Wie Sie UX-Writing einführen und einsetzen können

Technische Redakteure für Expertensysteme stehen gewissermaßen im Konflikt mit den gängigen Best-Practice-Empfehlungen für Microcopy. Die Grundregel für Microcopy,“Fachbegriffe müssen vereinfacht werden“, wirkt bei Experten-Systemen oft kontraproduktiv. Denn diese Fachbegriffe sind im Kontext professioneller Enterprise-Software sogar essentiell. Sie strahlen Professionalität aus, zeigen, dass es sich bei Ihrer Software um Produkte von Experten für Experten handelt. Fachbegriffe tragen wesentlich dazu bei, wichtige Elemente im System zu finden indem Sie Termini nutzen, die Ihre Fachexperten aus Ihrem Arbeitsalltag gewohnt sind.

Gute Microcopy für Expertensysteme ist also professionell, gleichzeitig aber auch praktisch, klar und präzise. Diesen Spagat zu bewältigen stellt uns Technische Redakteure oftmals vor textliche Herausforderungen.

In der Softwaredokumentation für Expertensysteme ist das alles also nicht so einfach. Die Systeme sind funktionsreich, etabliert und häufig historisch gewachsen. Ihre Anwender, die Fachexperten im Arbeitsalltag sind, sind gleichermaßen auch Laien und Anfänger im Umgang mit digitalen Produkten im privaten Umfeld. Sie probieren Neues aus, stellen fest, dass die Banking-Software sehr intuitiv zu bedienen ist und ganz ohne Dokumentation auskommen kann. Diese Erwartungen übertragen die Anwender auf Ihre Software im Arbeitsalltag und der Druck auf Ihr Profiprodukt wächst. Historisch gewachsene Systeme anzupassen – nicht selten ein Mammutprojekt. Fakt ist, nichts geht von heute auf morgen und für ein grundlegendes Refactoring der Produkte ist in der Regel kein Budget vorhanden. Abgesehen davon, würde dies Ihre Anwender bei zu stark einschneidenden Überarbeitungen überfordern. Denn diese müssen sich auch im neuen System wieder zurecht finden können.

Was allerdings immer funktioniert, ist der kleine Anfang.

  • Arbeiten Sie an einem Voice-and-Tone Design für Ihre Produkte sowie das Unternehmen.
  • Legen Sie fest, wie Sie Ihre Anwender in Zukunft adressieren möchten.
  • Entwickeln Sie Guidelines, die die Art der Kommunikation innerhalb Ihrer Produkte beschreiben.
  • Führen Sie einen Prozess für die Entwicklung von Microcopy ein. Hierbei kann Ihnen die Microcopy-Canvas von Jane Ruffino eine Hilfe sein.
  • Starten Sie Ihr neues Vorgehen zunächst für neue Features. Achten Sie dabei darauf, die Kluft zwischen neuen und alten Features nicht zu sehr aufzureißen.
    Holen Sie Ihre Nutzer daher aktiv bei neuen Features ab, damit diese sich im neuen Konzept schnell zurechtfinden.
  • Wird es komplex, führen Sie zum Beispiel automatisiert geführte Demos beim ersten Aufruf der Fnktionen ein. In jedem Fall: Schulen Sie Ihre Anwender darin, das neue Konzept zu verstehen.
  • Führen Sie nach und nach das Konzept auch für bestehende Features ein, die einem Update unterzogen werden.
  • Halten Sie die Kommunikation transparent, testen Sie verschiedene Versionen Ihrer Microcopy und holen Sie Anwenderfeedback ein.
  • Werten Sie die Metriken aus und arbeiten Sie kontinuierlich daran, das Erlebnis zu verbessern.

Fazit

UX-Writing oder spezieller die Microcopy in der Softwaredokumentation für komplexe Systeme bedeutet nicht, kurze witzige Texte in Ihre GUI einzubauen. Es geht dabei viel mehr um den konsistenten Entwurf einer Stimme und des Tonfalls der zu Ihrem Produkt, dem Unternehmen und vor allem auch Ihren Anwendern passt. Ihre Anwender kämpfen mit Unsicherheit, haben oft Druck und Deadlines zu bewältigen. Fühlen Sie sich in die Situation ein und „entspannen“ Sie Ihre Nutzer durch gute Microcopy.

Seien Sie empathisch und vergessen Sie nicht– Auch wenn Humor sowie Witze in Ihrer Microcopy oft unangebracht sind, dürfen Ihre Systeme durchaus Charakter beweisen.


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