„Unsere Zielgruppe? Das sind Sachbearbeiter in der Verwaltung, Administratoren aus der IT und Facharbeiter aus der Produktion. Das sind Fachexperten, die wissen, was sie tun. Die Softwaredokumentation liest von diesen Zielgruppen sowieso keiner, da der Anruf im Support einfacher ist.“

So, oder so ähnlich klingt es in vielen Einstiegsworkshops, die wir bisher zum Thema Zielgruppenanalyse bzw. Zielgruppendefinition vorgenommen haben. Wir stellen Fragen, versuchen genaueres über die genannten Zielgruppen herauszufinden und stellen oftmals fest, dass diese nicht recherchiert und definiert wurden, sondern häufig auf den irrationalen Annahmen der Stakeholder beruhen. Das kann gut gehen, tut es allerdings in der Entwicklung einer ganzheitlichen User-Assistance in den meisten Fällen nicht.

 

Warum brauchen Sie eine Zielgruppendefinition?

Für eine ganzheitliche, kanalübergreifende und nutzerzentrierte Softwaredokumentation muss ermittelt werden, WER die späteren Nutzergruppen sind. Sie müssen herausfinden, welchen Informationsbedarf haben Ihre Nutzergruppen und in welchem Nutzungskontext verwenden diese Ihr Produkt? Wenn Sie also nicht wissen, für WEN Sie Ihre Informationen schreiben, werden Sie nicht wissen, WIE Sie die Informationen schreiben sollen.

Die Herausforderung bei komplexen Softwaresystemen

Das Dilemma: „Die Nutzergruppen komplexer Softwaresysteme sind größtenteils sehr heterogen. Je nach Art des digitalen Produktes liegen oftmals Welten, zwischen den Kenntnissen, Bedürfnissen und Anforderungen der Nutzerschaft, die täglich mit Ihren Produkten interagiert.“

Welche Zielgruppen bzw. Nutzergruppen gibt es?

Welche Informationstiefe und welche Art der Unterstützung Ihre Anwender bei der Nutzung Ihrer Softwaresysteme benötigen, hängt unter anderem von deren Vorkenntnissen im Umgang mit Ihrem oder ähnlichen Softwareprodukten ab. Daraus ergibt sich für jede einzelne Nutzergruppe und u. U. sogar für jede:n einzelne:n Benutzer:in ein anderer Informationsbedarf. Nutzergruppen sind zum Beispiel:

  1. Einsteigende, Fortgeschrittene oder Experten im Umgang mit Ihren oder ähnlichen Softwaresystemen.
  2. Sachbearbeiter:innen, Administratoren und Administratorinnen oder Softwareentwickler:innen.

Auch beliebige Kombinationen der Kategorien sind möglich und lassen sich verknüpfen. So können erfahrene PC-Anwender:innen vor neuen Herausforderungen im Umgang mit z. B. einem Component-Content-Management-System stehen, da die Erfahrung ein solch komplexes System zu nutzen, fehlt.

Nichtsdestotrotz lassen sich oftmals vier Anwendergruppen für komplexe Systeme ermitteln, für die Sie entsprechende Informationsprodukte erstellen können. Diese sind:

  • Endanwender:innen und Interessenten
  • Entwicklungs- und Supportmitarbeiter
  • Management bzw. Geschäftsleitung
  • Externe Partner (Mitarbeiter, Dienstleister, Unternehmen)

Für jede dieser vier Gruppen gilt: „Eine möglichst sorgliche, im besten Falle datenbezogene, Betrachtung der Anwendergruppen – ist für eine gezielte Ermittlung des Informationsbedarfs unerlässlich!“

Wie Sie den Informationsbedarf für Ihre Zielgruppen ermitteln

Damit Sie den Informationsbedarf für Ihre Zielgruppen ermitteln können, gilt es zunächst Klarheit über die Kenntnisse, Bedürfnisse und Anforderungen Ihrer Zielgruppen zu bekommen.

Hierfür können Sie Ihre Zielgruppe mittels folgender Fragestellungen beleuchten:

  1. Wer sind Ihre Nutzer:innen?
  2. Welche praktischen und theoretischen Kenntnisse haben Ihre Nutzer:innen?
  3. Welche Aufgaben führen die Nutzer:innen mit Ihrem Produkt aus?
  4. Haben Ihre Nutzer:innen Erfahrungen mit vergleichbaren Softwaresystemen?
  5. Welche Erwartungen haben Ihre Nutzer:innen daher an Ihre Produkte?
  6. In welcher Umgebung (physisch und sozial) wenden die Nutzer:innen Ihr Produkt an?

Der Informationsbedarf Ihrer Nutzergruppen hängt also zum großen Teil mit dem Nutzungskontext, in dem die Software verwendet wird, zusammen.

Was der Nutzungskontext mit Ihrer Zielgruppe zu tun hat

Die ISO 9241-11 umfasst im Nutzungskontext: „[…] die Benutzer, Arbeitsaufgaben, Ausrüstung (Hardware, Software und Materialien) sowie physische und soziale Umgebung, in der das Produkt genutzt wird […]“

Über die Ermittlung des Nutzungskontextes Ihres Softwareproduktes oder auch die Analyse bestehender Ergebnisse aus den vorangegangenen Workshops im Kontext des User-Centered-Designs, können Sie in einer bereits frühen Phase der Produktentwicklung, viele Rückschlüsse auf Ihre Nutzergruppen ziehen und dadurch bereits mit dem Produktrelease eine solide Basis für Ihre Softwaredokumentation schaffen.

Das Potenzial von Bestandsprodukten nutzen

Viele Softwareprodukte, so vor allem bei komplexen Systemen der Fall, verfügen bereits über Vorgängerversionen, sind komponentenreich, komplex und zudem historisch gewachsen.

Dementsprechend viele Vorerfahrungen haben Ihre Nutzergruppen im Umgang mit Ihren Softwaresystemen. Positive, als auch negative. Diese Erfahrungen können Sie auswerten und damit für die Ermittlung des Informationsbedarfs für diese Nutzergruppen heranziehen.

Andere Quellen: Daten aus Ticketingsystemen, Erfahrungswerte aus den Kreisen der Support-Teams oder (falls möglich) gezielte (Web-)Analysen Ihrer Produkte. Welche Personen sind eingeloggt, was tun diese im Produkt und wie oft? Oder auch: Was tun die Personen nicht bzw. falsch im Produkt, und woran kann das liegen? Welche Personen sind das, die das Produkt einsetzen? Von welchen Geräten greifen diese zu und woher (geografische Aspekte)? Die Gewohnheiten aus Vorgängerversionen prägen Ihre Nutzer:innen. Nutzen Sie das Potenzial dieses Wissens für noch bessere Informationsprodukte!

Schwarmwissen in Ihrem Unternehmen nutzen

In vielen modernen Softwarehäusern existieren bereits einige Instanzen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die User-Experience (also das ganzheitliche Erlebnis der Anwendenden vor, während und nach der Nutzung des Produktes) zu verbessern.

Hierfür werden kreative Workshops durchgeführt, User-Research betrieben und vieles mehr. Vor allem aber werden Ihre zukünftigen Nutzergruppen bereits sehr früh im Prozess eingebunden und beeinflussen die Produktentwicklung positiv.

Sprechen Sie mit Ihren Kolleg:innen aus den Fachabteilungen, brechen Sie die Silos auf und nutzen Sie deren wichtigen Erkenntnisse! Dadurch haben Sie gleich mehrere Vorteile:

  • Sie verstehen das Verhalten der Nutzergruppen im Umgang mit dem Produkt besser.
  • Sie können Informationslücken aufdecken und gezielt mit anleitenden, motivierenden oder informierenden Texten unterstützen.
  • Sie decken neben Informationslücken auch Funktionsknoten im Produkt auf, wodurch ihre Produktentwicklung wiederum wichtige Erkenntnisse zieht.

Win-Win, wie wir finden!

Fazit

Gute, moderne Softwaredokumentation besteht also nicht aus Informationen, die auf Basis irrationaler Annahmen zur Zielgruppe getroffen wurden. Im besten Fall wurden gute Informationsprodukte von empirisch erfassten Daten zur Zielgruppe und deren Nutzungskontext abgeleitet.

Je genauer Sie getroffene Annahmen zur Zielgruppe mit gemessenen Daten zum tatsächlichen Nutzungsverhalten unterlegen können, desto besser können Sie den tatsächlichen Informationsbedarf ermitteln. Damit schaffen Sie eine ganzheitliche, kanalübergreifende und moderne User-Assistance, die sehr stark auf der positiven Seite der UX einzahlt, langfristig Ihre internen Ressourcen (z. B. das Service-Team) entlastet und damit die Kosten senkt.

 

Sie sind interessiert an modernen Softwaredokumentationen und möchten unser Wissen in Ihrem Arbeitsalltag anwenden? Dann ist unser Seminar „Grundlagen guter Softwaredokumentation“ genau das richtige für Sie. Wir teilen unser Wissen mit Ihnen und geben Ihnen Werkzeuge an die Hand, die Sie in Ihrem Arbeitsalltag für eine noch bessere Informationsqualität anwenden können.