Projektaufwände anhand von Kennzahlen und einer Entscheidungsmatrix richtig abschätzen | tekom SummerCON 2020
24.07.2020
24.07.2020
Kennzahlen sind generell sehr wichtig als Messinstrument für ein Dienstleistungsunternehmen. Das Festhalten von Aufwänden und die nachträgliche Kontrolle von Angebotsabschätzungen sind auch bei uns Bestandteil der täglichen Arbeit.
Neue Angebotsanfragen erfordern es zudem, möglichst ohne viel Recherche und sonstigem Aufwand, Aufträge schon vor der eigentlichen Bearbeitung abschätzen zu können. Unsere Kunden möchten wissen, wie viel monetärer und zeitlicher Aufwand sich hinter einem Projekt oder konkret, einem Dokumentationsprojekt, verbirgt. Das Gleiche wird für Sie gelten, auch wenn Sie nicht für ein Dienstleistungsunternehmen arbeiten. Auch als Angestellter eines produzierenden Unternehmens sind Sie unter Umständen verantwortlich für die Planung und Durchführung von Dokuprojekten, die abgeschätzt werden müssen. Da kommt der Chef schnell mal um die Ecke und fragt: „Wann kann ich die Anleitung haben?“ oder „Können wir die Doku Ende des Monats ausliefern?“ oder aber, die Deadline für die Fertigstellung steht fest und Sie müssen sich fragen: „Wie muss ich meine Arbeit gestalten, damit ich bis zum Tag X fertig bin?“
Wie möchten Sie auf diese Fragen antworten können?
Egal, für welche Art von Dokumentationsprojekt Sie tätig sind, Kennzahlen können Sie bei der Beantwortung dieser Fragen sehr gut unterstützen.
In diesem Blogartikel lesen Sie eine Zusammenfassung meines Vortrags bei der diesjährigen tekom-Online-Konferenz, der SummerCON 2020: „Projektaufwände anhand von Kennzahlen und einer Entscheidungsmatrix richtig abschätzen“.
In der Technischen Redaktion dienen Kennzahlen als Messinstrumente für Leistung und Ergebnisse, die durch festgelegte Prozesse, Abläufe und Aufwände entstehen. Weil sie messbar sind, haben wir es mit einem quantitativen Faktor zu tun, der zunächst einmal nicht Qualität misst. Kennzahlen gelten auch als Frühwarninstrument, das Sie rechtzeitig über Probleme, Missmanagement und kostenverursachende Einflussfaktoren informieren kann.
Kennwerte hingegen resultieren erst durch die Auswertung von Kennzahlenmessungen. Sie werden beispielsweise in Stunden, Tagen oder in absoluten Zahlen dargestellt.
Es stellt sich die Frage, wie wir nun zu diesen Kennzahlen kommen. Zum Glück müssen wir das Rad nicht komplett neu erfinden und können uns die Inhalte der großzügig erarbeiteten tekom‑Studie „101 Kennzahlen für die Technische Kommunikation“ (2014) leicht zunutze machen.
Anhand der Prozessschritte eines üblichen Informationsentwicklungsprozesses wurden Kennzahlen entwickelt.
In folgender Abbildung sieht man die einzelnen Prozessschritte eines üblichen Dokuprojekts, so wie wir es bei STYRZ kennen. Die Übersetzung ist Bestandteil, sie kommt (für uns) jedoch bewusst erst NACH Produktion der deutschen Dokumentation.
Für die Aufwandsabschätzung der Prozessphase „Planung und Konzeption“ lautet beispielsweise eine generische, aber wichtige Kennzahl „Zeitlicher Aufwand Planung & Konzeption“, ausgedrückt in Stunden oder Arbeitstagen. Sie ermittelt die Summe der zeitlichen Aufwände zur Erledigung aller Aufgaben in dieser Phase.
In der Prozessphase „Erstellung“ misst die „durchschnittliche Termineinhaltung Dienstleister“ das Verhältnis der Summe der Terminabweichungen zur Summe der Gesamttermine und gibt Aufschluss darüber, wie zuverlässig der Dienstleister seine Termine einhält.
Um in der Lage zu sein, die Gesamtdauer eines Informationsproduktes oder gar eines Dokumentationsprojekts (mit vielen Informationsprodukten) abschätzen zu können, müssen Sie zunächst definieren, wo Startpunkt und Ende liegen. Dabei unterstützt Sie der Informationsentwicklungsprozess. Sie benötigen folglich jede Menge Richtwerte für Standardprojekte.
Falls Sie keine haben, starten Sie direkt morgen damit, Zeiten und Aufwände zu erfassen. Sie und Ihre Firma müssen sich ein individuelles Kennzahlensystem erstellen, denn die Erwartungen hieran und den jeweils nötigen Detailgrad sollte niemand anderes bestimmen.
Die Kennzahlen, die wir im Einsatz haben, lassen sich in verschiedene Kennzahlenkategorien einteilen. Bei der erstmaligen Einführung von Kennzahlen in die Technischen Redaktion empfehlen wir, sich zunächst auf die wesentlichen Kennzahlen zu beschränken. In unseren Augen sind das, grob gesagt, die 6 folgenden Kennzahlenkategorien, die wir mithilfe des tekom-Leitfadens und zahlreichen eigenen Erfahrungswerten zusammengesucht haben.
Sie stellen die Basis für die Entwicklung eines Kennzahlensystems dar und sollten nur schrittweise um weitere Kennzahlen ergänzt werden. Sammeln Sie zunächst aktuelle Werte zur IST-Situation im Unternehmen. Erst dann sollten Sie über SOLL-Werte nachdenken und wie Sie diese erreichen können.
Das sind nicht allzu viele Kennzahlen und wir denken, dass diese sich mehrheitlich gut und schnell einführen lassen. Tun Sie dies sukzessive und strukturiert. Vermeiden Sie den Fehler, zu viele Kennzahlen direkt am Anfang einführen zu wollen. Sie laufen Gefahr, nach kürzester Zeit den Überblick zu verlieren.
Mit den Start-Kennzahlen liegt Ihnen ein guter Kennzahlen-Grundstock vor. Das auf jeden Fall. Wenn Sie nun aber zudem „benutzerdefinierte“ Kennzahlen in Ihr Unternehmen einführen möchten (was Sie sollten, denn jede Technische Redaktion funktioniert anders), müssen Sie sich die Frage stellen, wobei genau die Kennzahlen Sie unterstützen sollen. Sie könnten sich fragen, wo Sie aktuell mit Ihrer Redaktion stehen und wo Sie Optimierungspotentiale erkennen. Oder welche Abteilungsziele Sie verfolgen, welches kritische und konstruktive Feedback Sie vielleicht erhalten haben, aus dem sich eigene Ziele ableiten lassen. Vor welchen neuen Herausforderungen stehen Sie, die Sie noch nicht in Aufwänden beziffern können?
Halten Sie in jedem Fall fest, für wen eine Kennzahl gilt, wann und wo sie gilt, welche anderen Kennzahlen sie beeinflusst bzw. welche durch sie beeinflusst werden (die gegenseitige Wechselwirkung also), wie und wie oft sie erhoben wird und wie die daraus entstandenen Kennwerte ausgewertet werden.
Wenn Sie Kennzahlen bei sich einführen, sollten Sie direkt (wie bei allen anderen Themen auch) einen Verantwortlichen bestimmen, der sich dieses Thema auf die Fahne schreibt. Im Idealfall bilden Sie ein kleines Kennzahlen-Team, um sicherzustellen, dass das Thema „Kennzahlen“ krankheits- oder urlaubsbedingt nie ruhen muss.
Sie erklären den Mitarbeitern Ihrer Technischen Redaktionsabteilung, warum Sie jetzt sofort Kennzahlen einführen sollten, legen alle Vorteile offen und zeigen den return on invest für Ihr Unternehmen auf. Das können Sie in einer Kurzschulung tun. Sie müssen vorab also für Motivation und Akzeptanz sorgen und deutlich machen, dass die Messung von Kennzahlen nicht auf freiwilliger Basis erfolgen kann. Denn dann sind Ihre Kennzahlen schlichtweg nicht repräsentativ.
Alle Mitarbeiter sind aufgefordert, ihre Arbeitsabläufe innerhalb des Dokumentationsprozesses abzubilden. Der Aufwand hierfür hängt natürlich stark von der Größe Ihres Teams ab. Mit etwas Glück jedoch haben Sie Ihre Prozesse im Rahmen einer ISO9001-Zertifizierung aber sowieso schon niedergeschrieben. Falls nicht, auf geht’s.
Legen Sie nun fest, welche Kennzahlen Sie in der ersten Einführungsphase einführen möchten. Zu jeder einzelnen Kennzahl halten Sie Einsatzbereich, Nutzen, Berechnung, Rollen, Verarbeitung und Speicherung in welchem System genauestens fest. Zusätzlich verankern Sie, wie und wer wann Kennzahlen in welcher Form an wen liefert (wie also sieht das Reporting der Mitarbeiter an das Kennzahlen-Team aus?).
Führen Sie nun das Kennzahlensystem in kleiner Runde ein. Bewerten Sie den Aufwand, die Praktikabilität, die Messung, die Ergebnisse etc.
Präsentieren Sie das Kennzahlensystem und Ihre Testergebnisse aus der kleinen Runde vor allen Mitarbeitern der Technischen Redaktion. Zeigen Sie noch einmal die Vorteile auf. Welche Risikien in den Abläufen haben Sie ggf. durch Kennzahlen ermitteln können? Welche absoluten Zahlen können Sie bereits jetzt auf den Tisch werfen? Motivieren Sie, dass es knallt!
Ab sofort wird es ernst. Alle müssen sich nun an die Regeln halten.
Die erste große Auswertung erfolgt.
Messen die Kennzahlen gut, und das was sie messen sollen? Sind die Mitarbeiter glücklich damit? Sind die Aufwände für Messung und Auswertung vertretbar?
Nun können Sie erste SOLL-Werte identifizieren und anschließend nötige Stellhebel und andere Maßnahmen zur Beeinflussung Ihrer Kennzahlen finden.
Aktualisieren Sie das Kennzahlensystem wann immer nötig und stellen Sie sicher, dass sämtliches Wissen transferiert und zugänglich gemacht wird.
Unterschiedliche Komplexitätsgrade
Wenn Sie wissen, wie viele einfache, durchschnittliche und komplexe Aufgaben Sie in einem neuen Projekt erwarten, können Sie Projektaufwände deutlich besser abschätzen.
Denn: Für unterschiedliche Komplexitätsgrade existieren ggf. mehrere Kennwerte. Machen Sie sich dies bewusst! Sie werden z.B. nicht pauschal sagen können, dass sich jedes Modul Ihrer Betriebsanleitung oder jede Dialogfunktion Ihres Softwarehandbuchs gleich schnell erstellen lässt.
Sie tracken also einen Kennwert für ein einfach zu schreibendes Modul, einen Kennwert für ein durchschnittlich schwieriges Modul und einen Kennwert für ein inhaltlich sehr komplexes Modul. Die Komplexität hängt dabei wiederum von Faktoren wie Know-how, Recherche, Wiederverwendung, Anzahl Abbildungen etc. ab.
Hochrechnungen – unabdingbar, aber unpräzise
Während Sie für Projekte aus der Vergangenheit sowie für neue Projekte gleicher Art einfach die Summe all Ihrer ermittelten Kennwerte nutzen können, müssen Sie für Projekte neuer Art Hochrechnungen anstellen, auf Basis bereits ermittelter Kennzahlen und Kennwerte.
Wir benötigen also einen Basiswert „1“. Der sollte mehr oder weniger verlässlich sein und gibt Ihr IST wieder. Überlegen Sie sich anschließend eine Art Gewichtung, um hinzukommende Neuaufwände abschätzen zu können. Wie viel Aufwand, im Vergleich zum Basiswert, wird Sie ein Produktupdate, eine Produktvariante oder ein Korrekturauftrag kosten?
Folgende Abbildung soll die Möglichkeiten der Hochrechnung im Projekt verdeutlichen.
Beispiel: Es wird ein Produktupdate kommen. Die Anzahl und die Art neuer Funktionen des ROBOT 123 sind noch ungewiss.
Hinzurechnungen – präziser, weil basierend auf bereits ermittelten Kennzahlen und -werten
Sofern der Umfang der Aufgabe aber konkret wird, müssen Sie nicht mehr hoch-, sondern hinzurechnen.
Beispiel: Wie lange wird es dauern, wenn 3 neue Bedientasten mit 3 neuen Funktionen für den ROBOT 123 mit der Komplexität „durchschnittlich“ hinzukommen?
Nun kommen die Kennzahlen der einzelnen Prozessschritte wieder zum Einsatz:
Welche Kennzahlen wurden erhoben, um den zeitlichen Aufwand für eine Funktion mit Komplexitätsgrad „durchschnittlich“ zu beschreiben? Welche Arbeitsschritte sind pro Prozessphase nötig?
Am Beispiel der Texterstellung könnten das sein:
So ergibt sich aus allen Prozessphasen wieder ein GESAMT speziell für dieses Produktupdate.
Wir bei STYRZ arbeiten mit dem Kollaborationstool Trello, um Aufgaben, Auswertungen und offene Fragen rund um das Thema Kennzahlen innerhalb des Teams gut zu verwalten. Auch unsere „Kennzahlensteckbriefe“ sind dort als Datei hochgeladen und für jeden jederzeit aufrufbar.
Die an Kennzahlen gekoppelten Prozessschritte oder Tätigkeiten pro Prozessphase sammeln wir in einer Excel-Datei. Daraus haben wir eine kleine Matrix erstellt, die uns bei Projektanfragen helfen soll, leichter Entscheidungen im Hinblick auf zu erwartende Bearbeitungszeiten zu treffen.
Die nachstehenden Abbildungen zeigen einen Ausschnitt unserer Excel-Datei.
Auf dem ersten Tabellenblatt sehen Sie eine Auswertung, die uns Aufschluss über benötigte Arbeitsstunden und zusätzliche Werktage für dieses fiktive Projekt gibt. Anhand dieser beiden Summen können Sie den benötigten Zeitaufwand ermitteln und abschätzen, ob der zur Verfügung stehende Zeitrahmen für die Projektabwicklung ausreichend ist. Wie gelangen wir zu diesen Werten?
Über die weiteren Tabellenblätter können wir zu den einzelnen Prozessphasen navigieren, in denen die Einzel-Tätigkeiten und die jeweiligen Aufwände hinterlegt sind.
Ich zeige Ihnen dies am Beispiel des Reiters „Erstellung“: In Spalte D „Prozessschritte“ erfassen Sie alle Prozessschritte, die zu dieser Phase gehören. Spalte E zieht sich im Idealfall den Mittelwert aller Mitarbeiter für die einzelne Tätigkeit und über die Spalte J können wir anwählen, welche Tätigkeit wir für das nächste Projekt erwarten.
Im Falle des vorhin besprochenen Produktupdates mit den 3 neuen Bedientasten und Funktionen würden wir hier eben nur diejenigen Tätigkeiten per Checkbox anwählen, die wir nochmals erbringen müssen.
Ziel ist es, in dieser Tabelle bei allen Reitern möglichst viele individuelle Tätigkeiten und ihre Aufwände zu erfassen, damit Sie diese gebündelt in das erste Tabellenblatt zur schnellen Übersicht übernehmen können. Bei meinem fiktiven Beispiel kommt heraus, dass mich dieses Informationsprodukt mindestens 74 Stunden kosten wird und ich mit einer Minimum-Dauer von 7,8 Werktagen für die Bearbeitung rechnen muss. Dazu kommen noch 40,1 Tage, um alle Prozessschritte der anderen Stakeholder, von der Planungsgestaltung über die Freigabe bis hin zur Übersetzung, zu durchlaufen.
Beispiel: In den 10,2 Tagen, die für die Übersetzung eingeplant sind, habe ich zunächst keinen eigenen Aufwände. Aber andere schon. Und diese verursachen „Dauer“-Werte.
Sie haben Interesse an der Excel-Vorlage für die Entscheidungsmatrix? Sichern Sie sich am Ende dieser Seite Ihr kostenfreies Exemplar.
Mit Kennzahlen zu arbeiten ist nicht schwer, aber Aufwände ohne Kennzahlen abzuschätzen sehr!
Danke nochmals allen Teilnehmenden
Wir bleiben am Ball und freuen uns auf eine Fortsetzung!