Man könnte es schon fast als die Gretchenfrage der Technischen Dokumentation bezeichnen – Anleitungen print oder digital?

Dabei ist in manchen Branchen die papierlose Dokumentation schon lange Usus. Im Bereich Softwaredokumentation werden Nutzungsinformationen bereits seit Jahren fast ausschließlich digital dargereicht. Hier ist der digitale Nutzungskontext jedoch auch eindeutig. Die Zielgruppe der Software befindet sich bereits in der digitalen Welt, in welche die Nutzungsinformationen integriert werden. Anders sieht es da im Maschinenbau aus. Das Bedienpersonal ist eben an der Maschine und nicht am PC, oft ist auch gar kein Büroarbeitsplatz verfügbar. Die digitale Welt, wie im Beispiel zuvor beschrieben, weicht der lauten Maschinenhalle.

 

Der Blick in die Normen

Was hilft? Meistens ein Blick in die Normen. Doch auch die Maschinenrichtlinie hilft beim Thema „papierlose Dokumentation“ nicht wirklich. Kapitel 1.7.4 beschäftigt sich mit der Form der Betriebsanleitung. Mit „Form“ ist dabei Inhalt und Sprache gemeint. Zu den wichtigen Aspekten Ausgabeformat und somit auch Darreichungsart, äußert sich die Norm nicht. In der Maschinenrichtlinie ist nur ein Satz zu finden, an welchem man eine Argumentation ausrichten kann:

„Bei der Abfassung und Gestaltung der Betriebsanleitung für Maschinen, die zur Verwendung durch Verbraucher bestimmt sind, muss dem allgemeinen Wissensstand und der Verständnisfähigkeit Rechnung getragen werden, die vernünftigerweise von solchen Benutzern erwartet werden können.“

Heißt, die Gestaltung soll den allgemeinen Wissenstand berücksichtigen. Kann das auch als Wissenstand bezüglich der Nutzung digitaler Produkt verstanden werden? Kann man davon ausgehen, dass die Nutzerschaft das Wissen und die Verständnisfähigkeit für digitale Betriebsanleitungen hat? Dafür spielen die vorherrschende Zielgruppenanalyse und die Analyse des Nutzungskontexts eine Rolle, um für das eigene Unternehmen argumentieren zu können.

 

Der Nutzungskontext

Neben der erwähnten Zielgruppenanalyse muss auch der Nutzungskontext analysiert werden. Daraus lassen sich Rückschlüsse für den Inhalt und die Gestaltung des Informationsprodukts ziehen. In welcher Situation kommt die Zielgruppe mit dem Informationsprodukt in Kontakt? Ist das freiwillig oder automatisch? Hat die Zielgruppe im Nutzungskontext bestimmte Herausforderungen, z. B. Lärm oder wenig Licht? Denn: In lauten Umgebungen eignet sich keine Audiodatei und in nassen Umgebungen kein blankes Papier.

Doch was sind Faktoren eines Nutzungskontexts, um die papierlose Dokumentation zu unterstützen oder eben auszuschließen?

Dazu gehören:

  • Technisches Verständnis der Zielgruppe (kann man der Zielgruppe digitale Informationsprodukte zumuten?)
  • Verfügbarkeit von technischen Ausgabegeräten oder Möglichkeit, die Anleitung ausdrucken zu können (kommt die Nutzerschaft einfach an die benötigten Informationen?)
  • Sicherheitslevel der Informationen (bietet das Informationsprodukt Sicherheitsinformationen, die in Notsituationen direkt an der Maschine verfügbar sein müssen?)
  • Schulungslevel des Bedienpersonals (benötigt das Bedienpersonal überhaupt die Anleitung oder z. B. nur in größeren Abständen zur Reinigung? Kann die Dokumentation dann zu diesem Zeitpunkt digital zur Verfügung stehen?

 

Vor den Zeiten des PDFs stellte sich die Frage nach der digitalen Form einer Betriebsanleitung nicht. Doch jetzt, wo auch zum Beispiel die Themen Nachhaltigkeit und Papiersparen an Relevanz gewinnen, und smarte Technologien immer größeren Anteil unseren Alltags haben, drängt sich die Forderung nach papierloser Doku immer mehr in den Vordergrund.

 

Für die papierlose Dokumentation spricht einiges:

  • Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeit nimmt einen immer höheren Stellenwert in der Unternehmenskultur ein. Auch die Technische Dokumentation kann hier einen Beitrag leisten. Dieser Aspekt wird umso wichtiger, umso höher die Anzahl an gedruckten Exemplaren ist.
  • Langlebige Archivierung: Digitale Daten können bequem archiviert werden, Firmen brauchen keinen „Doku-Schrank“ zur Aufbewahrung.
  • Verteilbarkeit innerhalb des Unternehmens: Digitale Dokumente können bequem verschickt werden, ohne gedruckte Mehrfach-Exemplare.
  • Bessere Usability: Die Suchfunktion im PDF erleichtert das Auffinden von benötigen Informationen ohne langes blättern.
  • Barrierefreiheit für unterschiedliche Lesebedürfnisse: Die Darstellungsgröße kann digital individuell angepasst werden.
  • Möglichkeit von mehrsprachigen Download-Angeboten: Digital bedeutet so auch individueller.

In der Praxis

Betrachten Sie Ihren Nutzungskontext: Kann der Nutzerschaft eine digitale Anleitung „zugemutet“ werden? Kommen die Informationen dann da an, wo sie benötigt werden?

Wenn Sie diese Fragen mit „Ja“ beantworten können, können Sie die Möglichkeiten in Betracht ziehen, Ihre Dokumentation digital zu publizieren.

 

Möglichkeit 1:

Sie liefern die digitale Dokumentation mit dem Produkt mit. Dazu eignet sich am besten ein moderner Datenträger wie USB-Stick. Aufgepasst bei CDs: nicht jeder Rechner hat heute noch einen CD-Slot.

Je nach Produkt kann die digitale Dokumentation auch im Produkt integriert sein z. B. in das Touchpanel einer Maschine. Ist das möglich, ist das eine nutzungsfreundliche Sache, doch hier muss an die Alternativen gedacht werden. Fällt das Touchpanel aus, sollte sich die Fehlerbehebung zu diesem Problem eben nicht nur auf dem Touchpanel befinden.

Möglichkeit 2:

Sie liefern statt der digitalen Dokumentation lediglich die Information über den digitalen Ort, an dem die Dokumentation abliegt. Dazu eignet sich ein Link oder ein QR-Code. Vielleicht eignet sich auch eine eigenständige App für die Dokumentation Ihres Produkts.

 

Stellen Sie diese Möglichkeiten Ihrer Kundschaft vor. Die Bereitstellung der Dokumentation, in welcher Form auch immer, sollte vertraglich festgehalten werden. So sind die Forderungen und Leistungen klar definiert – auch im Schadensfall.

Papierlose Dokumentation bleibt, solange es keine Aussage seitens einer Richtlinie gibt, leider vorerst uneindeutig. Die Lösung ist meistens ein Medienmix, zu welchem man sich die unternehmensinterne Frage stellen sollte: „In welcher Situation ist welches Medium genau das richtige?“. Finden Sie Lösungen zusammen mit Ihren Kunden und halten Sie dann intern digitale, wie auch Printversionen vor. Auf Anfrage sollte Ihre Kundschaft immer auch eine ausgedruckte Ausgabe erhalten können.

Übrigens – da tut sich schon was! Anfang Mai wurde bereits im Europaparlament über einen Kommissionsentwurf zu einer neuen EU-Verordnung über Maschinenprodukte abgestimmt. Diese soll dann die bestehende Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ablösen. Die Änderungen der Verordnung würden dann auch die Technische Dokumentation betreffen. Diskussionsthema ist dazu auch die Bereitstellung digitaler Dokumente. Wir halten Sie auf dem Laufenden!